Nachlese

Ich bin schon wieder ein paar Wochen zuhause und mehr oder weniger im Alltag zurück.

Diesen letzten Jakobsweg wollte ich eigentlich so schnell wie möglich abhaken und am besten vergessen.

Aber der Reihe nach:

Nachdem ich, von Schmerzen geplagt, also beschlossen habe, aufzugeben, kam noch eine feine Lebensmittelvergiftung mit hohem Fieber dazu. Um mir möglichst viel Ruhe zu gönnen, habe ich meine Unterkünfte wieder umgebucht, aber dabei ein richtiges Chaos gestiftet: für manche Nacht hatte ich dann auf einmal 2 Betten, für manche gar nichts. Einen Bus im Fiebernebel in die falsche Richtung gebucht. Eigentlich nur noch durch die Prärie gestolpert ohne Sinn und Verstand.

Dann vorzeitig spontan einen Flug nach Hause gebucht. Ich wollte nur noch heim. Der Flug ging ab Santiago de Compostela am Mittag.

Da habe ich trotz der ganzen Misere meine Chance gewittert, im Pilgerbüro meine Compostela zu holen. Dies ist eine Urkunde, für die man nachweisen muss, dass man diesen Weg gegangen ist. Der Nachweis erfolgt über 2 tägliche Stempel aus Orten entlang des entsprechenden Jakobswegs. Und ja, ich wollte sie wirklich haben. Aus irgendeinem Grund war es mir diesmal wichtig, was auch neu war… und total dämlich, weil ich bei diesem Weg weit davon entfernt bin, ihn wirklich gelaufen zu sein! Ich wusste schon, dass im Pilgerbüro der Pilgerausweis überprüft wird, ob alle Stempel da sind und ja, ich hatte sie alle.

Aber dann wird die entscheidende Frage gestellt: „Bist du diesen Weg gelaufen?“ Ich wollte nicht lügen und hätte es auch nicht getan, sondern mir dann einfach meinen Abschlussstempel geben lassen und gut.

Aber ich wurde gefragt: „Bist du diesen Weg gegangen?“

Bei Gott, diesen Weg bin ich wirklich gegangen! Nicht ganz auf meinen Füßen aber mit meinem ganzen Körper, mit Leib und Seele habe ich es nach Santiago geschafft! So konnte ich nach kurzem Innehalten aus vollem Herzen antworten: „JAAA, ich bin ihn GEGANGEN! Und wie!“

Dieser Easy-Peasy-Weg hat sich als die größte Herausforderung gezeigt und meiner Seele einige Lernerfahrungen geschenkt.

Soweit, dies zu begreifen, war ich aber nicht nicht. Zwar mit Compostela in der Tasche, ansonsten aber echt frustriert, enttäuscht und krank habe ich meinen Flug nach Hause angetreten, wurde von meinem Mann in Memmingen im Allgäu abgeholt und war dann erstmal erschöpft aber glücklich zuhause und konnte mich endlich erholen.

Als ich dann langsam anfing, von der Reise zu erzählen, wurden die unschönen Erlebnisse allmählich von den wesentlich schöneren verdrängt:

Wieder einmal hatte ich die Gelegenheit, mit meinen inneren Dämonen das eine oder andere Scharmützel auszutragen.

Wieder einmal durfte ich neue Erfahrungen mit Pilgerunterkünften und deren Gästen machen. Und mittlerweile liebe ich es, mit vielen Leuten in einem Saal zu sein, auf dem oberen Bett zu liegen und dann langsam zur Ruhe zu kommen. Hier und da hört man noch Rucksackgeräusche, manch einer schlurft noch leise auf Flipflops im Raum herum, es wird noch leise getuschelt und erzählt. Und diese Geräuschkulisse lullt mich langsam richtig schön ein, gibt mir ein Gefühl von Sicherheit und Verbundenheit und lässt mich entspannen und einschlafen.

Wieder einmal wurde mir bewusst, wie dankbar ich meinem Schicksal für mein unbeschwertes Leben bin. Beschenkt mit meinem Mann, meinen Kindern und allem, was wir miteinander erleben und haben dürfen.

Und wieder einmal durfte ich Menschen kennenlernen, die ich so schnell nicht vergessen werde. Wir haben uns in die Augen gesehen und uns erkannt. Wir haben uns aufeinander eingelassen und vertraut. Vor allem ich habe Kontrolle abgegeben, als ich mein ganzes Chaos wieder sortieren bekommen habe. Menschen, die mir die Chance gegeben haben, meine Grenzen zu spüren und einzuhalten.

Also: Danke an euch liebe, liebe Menschen, die mehr oder weniger viel Zeit mit mir verbracht haben: Natalie, Sandra, Anne, Jens, Tatjana, die beiden Däninnen, deren Namen ich nicht mehr weiß, noch eine Dänin, und viele mehr! Der Camino hat uns verbunden und unsere Herzen bleiben es.

💖

„Wenn unser Leben vorübergehend ist, lass unsere Geschichte schön und verrückt sein, denn der Wert der Dinge liegt nicht darin, wie lange sie dauern, sondern in der Intensität, mit der sie passieren.

Deshalb gibt es unvergessliche Momente, unerklärliche Dinge und unvergleichliche Menschen. ”

Und dafür habe ich mir ein wunderbares Tattoo machen lassen. In Nürnberg.