Wir sind so richtig gut angekommen. Mittlerweile sitzt jeder Handgriff beim Rucksack aus- und einpacken und der persönlichen Ausstattung. Ist halt schon blöd, wenn der Sonnenhut irgendwo im Rucksack steckt und du erstmal wühlen musst, um ihn zu finden. Und eine halbe Stunde später nochmal, um die Tagesration Magnesium zu nehmen. Und zum Trinken sowieso. Und jedes Mal wieder: Rucksack runter, Rucksack rauf. Das machste einen Tag lang und dann weißt du, wie du dich zu organisieren hast.
Langsam stellt sich auch das Gefühl der Pilgergemeinschaft ein: egal, wie langsam oder schnell man unterwegs ist, irgendwo auf dem Weg oder in der Unterkunft trifft man immer wieder die Leute, die man schon kennt. Und spätestens in der nächst größeren Stadt sind alle wieder zusammen. Da spätestens nach einer Woche jeder, auch der trainierteste und fitteste merkt, wie anstrengend die ganze Lauferei und Schlepperei für den Körper ist, kümmert man sich umeinander. Wie geht es dir, alles klar mit dir? Was machen die Füße, die Beine, der Kopf? Blasen, Krämpfe, Knie? Die ersten Bandagen werden gekauft und der erste Ruhetag geplant. Die Ernährung ist wichtig. Eigentlich fehlen uns alle ein paar Vitamine und Proteine. Sobald man mit dem Essen schlampt, sind die Beine und der Rucksack am nächsten Tag schwerer.
Und jetzt kommt auch noch die Hitze dazu. Am Vormittag geht es noch wunderbar: 15-20 Grad, frische Luft von der Nacht. Und dann steigen und steigen die Temperaturen und die Sonne brennt. Das Tagesziel ist eigentlich schon in Sichtweite, aber die letzten 5 km ziehen sich so zäh dahin, dass ich glaube, das Dorf sei nur eine Fata Morgana. Es kommt und kommt nicht näher.
Das ist echt brutal, vor allem weil wir vor einigen Tagen vor Kälte noch gebibbert haben.
Aber hier in dieser Phase, in den knapp 95 km zwischen Pamplona und Logrono, zeigt sich uns dieser Jakobsweg auch von seiner schönsten Seite. Weizenfelder und grüne Hügel, soweit das Auge reicht. Der Weg schlängelt sich hindurch, gesäumt von allerlei bunten Wiesenblumen. Es ist herrlich, die vielen Grüntöne zu entdecken und zu fühlen, wie das Grün die Seele beruhigt. Die ganze Landschaft ist grün, satt, sanft und milde.
Das entschädigt für die fast schlaflosen Nächte, die wir in den großen Unterkünften verbringen mussten. Zu 16 in einem Schlafsaal. Einer schnarcht und 15 sind wach. Einer geht frohgemut und ausgeschlafen am nächsten Morgen los, die anderen fluchend und schimpfend wie verkatert nach einer durchzechten Nacht. Der eine ist ein belgischer Priester…
Wir erfahren, dass nach der Pandemie in diesem Jahr die 4-fache Menge an Pilgern erwartet wird. Das fängt jetzt schon an, und die Unterkunftssuche wird zu einem echten Problem. Ich werde wohl noch viele Nächte in den Gemeindeunterkünften nächtigen müssen. Am Nachmittag spielen dort die Kinder Fußball, nachts schlafen die Pilger in der Turn- oder Gemeindehalle. Möglich wäre auch die Kirchenbank, aber das ist ja noch schlimmer. Soll der schnarchende Priester dorthin…
Aber hey, jetzt sind wir erstmal in Logrono angekommen – was für eine Stadt! Die Hauptstadt des Riojas und der Tapas. Unglaublich gutes Essen, unfassbar viel Wein. Eine Lebensfreude in den schmalen Gassen der Altstadt – es brummt und wummert überall. Die Pilger treffen sich wieder, wir sitzen in wechselnden Gruppen zusammen. Alle freuen sich – über alles! Wie toll dieses Erlebnis des Jakobsweges doch ist und was es mit den Menschen macht. Unbekannte aus allen Altersgruppen, Berufen und Herkünften werden zu Vertrauten, die eine Verbindung spüren und füreinander da sind. Der Mensch kann halt trotz allem Individualismus nicht alleine sein. Wir alle brauchen einander und müssen füreinander da sein – im kleinen wie im großen Kontext.