Ich sitze gerade in der Sonne auf einer Bank in einem klitzekleinen Dorf namens St Juan. Ich bin kurz vor Burgos, wo ich am Donnerstag Kilian treffen werde. Es sind nur noch wenige Kilometer dorthin, aber ich verbringe lieber einen Ruhetag auf dem Land als in der Stadt…
Hier zwitschern die Vögel lautstark und der Hahn kräht unentwegt.
Ich habe einen Marsch von 12 km bergauf hinter mir, der normalerweise 3 Stunden dauert. Dank einer ganz lieben Deutschen, mit der ich gequatscht habe, verging die Zeit wie im Flug und wir haben die Strecke in 2.45 geschafft. Kaum zu glauben, dass ich, die Schnecke, schneller bin als der Durchschnitt. Tschacka!
Leute, ich muss was loswerden: ich hätte ja niemals gedacht, dass es mich irgendwann in meinem Leben mal nervt, Englisch zu sprechen. Eigentlich ergreife ich erfreut jede Gelegenheit, die sich bietet, to talk in Englisch. Aber diese vielen Amerikaner, die hier durch das Land poltern, sich selbst als vom Heimatplaneten Gesandte betrachten und sich wie alter Landadel benehmen, gehen mir unglaublich auf die Nerven! Dieses Gelabere über nichts und wieder nichts, alles einfach wundervoll zu finden und dabei durch die Gegend zu schreien, geht mir so unfassbar auf den Zeiger. Manchmal hilft mir da nur, Kopfhörer reinzumachen, um meine Ruhe zu haben. Meine Challenge für die nächsten Tage: Herausfinden, warum mich das so triggert und wie ich das ablegen kann.
Am Samstag musste ich mich von Bea verabschieden. Sie hat eine halbe Europareise mit dem Zug vor sich, während ich mit dem Bus Logrono verlassen habe. Schon morgens, als wir noch gemeinsam frühstücken, liegt mir die aufkommende Einsamkeit schwer im Magen. Ich möchte nicht alleine weitergehen, sondern mit Bea! Und wenn das nicht geht, will ich mit Bea nach Hause fahren. Und wenn das auch nicht geht, halten wir einfach die Zeit an, und machen von jetzt an in Zeitlupe weiter, lass uns jeden Moment des Zusammenseins bitte auskosten!
Wir durften so wertvolle Momente teilen, ich glaube, von dieser Zeit wird unsere Freundschaft ein Leben lang genährt werden. Wir werden uns schlapp lachen, wenn eine nur ein einziges Stichwort gibt. Wir werden die lautlosen Hilfeschreie der anderen hören und hineilen. Wir durften ein Band zwischen uns knüpfen, welches wir nicht mehr loslassen werden. Während ich um Worte ringe, dies zu schreiben, laufen die Tränen der Dankbarkeit. Danke, liebe Bea, für diese wundervolle Zeit!
Wie und warum soll ich das nur alleine weiter machen? Welchen Sinn hat es denn überhaupt, weiterzugehen? Habe ich nicht das größte Geschenk schon bekommen?
Mir bleibt ja nichts anderes übrig, ich treffe mich mit Kilian… in diesen Tagen rede ich viel mit meiner Familie. Um mich trösten zu lassen, aber auch, um ihnen klar zu machen, dass ich das nicht mehr machen werde. Und wenn ich demnächst wieder auf die Idee komme, alleine pilgern zu gehen, sollen sie mich gefälligst davon abhalten! Jetzt werden wieder viele sagen: das hast du doch vorher gewusst, wie einsam, du beim letzten Mal warst, welche Schmerzen du hattest usw. Ja, wusste ich, habe ich aber verdrängt. Und? That’s life! Wieviel verdrängen wir unbewusst und machen immer wieder die gleichen Fehler? Ich habe es bewusst verdrängt und andere Fehler gemacht.
Wobei – welche Fehler eigentlich? Es ist halt eine Herausforderung und basta.
Ich bin sehr froh, dass ich jetzt pro Tag nur 12-15 km gehen muss, weil mein linker Fuß durchgehend Probleme macht. Der macht schon seit dem letzten Jakobsweg Probleme, was ich zunächst ignoriert habe und mir dann teure orthopädische Einlagen anpassen ließ, die aber nur mäßig helfen. Schmerzen habe ich trotzdem. Täglich massiere ich die Fußsohlen mit einem harten Ball, mit Arnika-Lotion und meinen Fingern, es tut trotzdem weh! Ich gehe davon aus, dass dies alles hilft, die Lage nicht zu verschlimmern.
Und nachdem ich die letzten Tage in großen Herbergen schlafen musste (letzte Nacht mit 20 Leuten) und ich sehr unter Schlafmangel leide, freue ich mich unglaublich über mein heutiges Einzelzimmer mit eigenem Bad! Zeit für Fußpflege, Rucksack aufräumen, lesen, liegen und alles machen, was man nicht macht, wenn ständig jemand rein und rausgeht. Und nicht mehr früh um 5 sich selbst die Frage stellen, warum jemand mit einer roten Taschenlampe herum leuchtet.
Und das werde ich heute genießen und morgen den neuen Tag begrüßen!
Und wie schon beim letzten Mal: ich freue mich tierisch über jede Nachricht – auf welchem Weg auch immer 😊