Als ich im Mai 2022 vom Französischen Jakobsweg nach Hause kam, mit gebrochenem Fuß, aber glücklich, habe ich meine Familie darum gebeten, mich auf jeden Fall davon abzuhalten, sollte ich wieder auf diese „dämliche“ Idee kommen, auf Pilgerreise zu gehen. Hat ja hervorragend geklappt!
Ich sitze nämlich in Porto in einem Hostel, das zwar sehr schön aber auch sehr laut ist und Brathähnchengeruch (alternativ Fischgeruch) durch die Räume wabert. Wie sagt man so schön: lieber ersticken oder erstinken?
Abgesehen davon bin ich aber geflasht von dieser Stadt: es ist einfach der Hammer! Auf jeden Fall, auch ohne Pilger-Hintergedanken eine Reise wert!
Da sitze ich nun, begleitet von meinen alten Wegkumpanen Rucksack und Wanderstiefel. Sie sind mir immer noch so vertraut – auf den Rücken schnallen bzw. hineinschlüpfen fühlt sich prima an.
Vor mir liegen easy-peasy 280 km, zuerst an der Küste entlang nach Norden, dann über die Hügel in Galizien nach Santiago de Compostela.
Ich wurde in den letzten Tagen immer wieder gefragt, ob ich mich freue, oder aufgeregt bin. Ja und Ja! In meinem Kopf waren tausend Gedanken, simple und weniger simple:
Werde ich wieder meine Zahnbürste verlieren, 3 Tage von der nächsten Einkaufsmöglichkeit entfernt?
Werde ich immer ein Bett bekommen oder muss ich in Kirche oder Turnhalle unterkommen?
Drücken meine neuen Kopfhörer, wenn ich sie nachts tragen muss, um die Schnarcher und Raschler nicht zu hören?
Bin ich womöglich selbst eine Schnarcherin?
Werde ich mir wirklich ein Tattoo stechen lassen, wenn ich angekommen bin?
Und jetzt zu den wichtigen Fragen:
Werde ich es körperlich schaffen? Hält der Fuß durch?
Werde ich es mental schaffen? Kann ich mich immer wieder neu motivieren, werde ich die Kraft haben?
Warum mache ich es eigentlich überhaupt? Hätte doch auch eine Kreuzfahrt machen können… (Nein, hätte ich nicht!) oder ein schönes Yoga-Retreat oder eine Fastenkur. Aber nein, es zieht mich immer wieder hierher.
Wie schaffe ich die schlimmen Tage?
Wie komme ich mit der Einsamkeit diesmal zurecht? Werde ich Menschen treffen, mit denen ich mich verbinden kann?
Ja, und auch all das sind meine altbekannten Freunde: die (Selbst-) Zweifel, die mir genauso vertraut sind wie Rucksack und Stiefel. Regelmäßig kann ich sie besiegen, regelmäßig klopfen sie wieder an.
Was ist diesmal meine spirituelle Erkenntnis? Oder vielmehr Ahnung? Welches Geschenk macht mir das Universum diesmal? Nach Gottvertrauen und Freundschaft kann ich mir gar nicht vorstellen, was noch kommen kann. Aber das wusste ich nie vorher. Es hat mich unerwartet erwischt und überflutet mit Glück und Dankbarkeit.
In der Nacht vom 17. September ist wieder Vollmond. Ein Supermond diesmal. Dann werde ich an der Küste Portugals entlang gehen, auf Meer schauen. Vielleicht wieder zurückblicken, mich erinnern an meine vergangenen Caminos durch Spanien als ich immer nach Westen ging und nur einseitig braun wurde. Nun werde ich nach Norden gehen, gleichermaßen von Sonne und Mond begleitet und ich wünsche mir, dass ich wieder diesen inneren Frieden erlange, der mir bereits zweimal geschenkt wurde.
Dann schiebt sich der Weg von selbst unter meine Füße.
Sat chid ananda